Des Menschen Leben gleicht dem Gras;
er blüht wie eine Blume auf der Wiese:
Ein heißer Wind kommt-
schon ist er verschwunden…..
Psalm 103, 15.16
FRÜHLING
Neugierig schieben
die Maiglöckchen
ihre Nasenspitzen
durch die nackte Erde.
Osterglocken und Tulpen
feiern bereits ihr
Farbenfest.
Verheißungsvoll winken
der Schafgarbe zartgrüne Wedel.
Viele Knospen und Keime
spielen Rätselraten mit mir.
Es beginnt! Es beginnt!
Ich träume
die Sommerfülle in den Garten hinein.
Herz, saug dich nicht fest
an dieser Schönheit!
Maden und Mehltau und Schneckenfraß
lauern im Hinterhalt,
Herbst folgt und
Winter.
Sieh hin auf die Quelle!
Sie wird immer sprudeln
und dich nicht enttäuschen
in Ewigkeit.
*****
AUTOBAHNFAHRT
Meine Augen streicheln
die runden Kuppeln der Laubbäume,
tasten sich an den strengen
dunklen Tannenspitzen entlang.
Mein Herz fliegt aus
übers reifende Gelb der Felder
und grün-bräunliche Wiesen,
hier und da farbbetupft.
Heute gefällt mir
sogar das Grau der Straße,
prächtig eingefasst
von Ebereschengebüsch,
Schneeball und schwarzem Holunder.
Mir purzeln die Geschenke in den Schoß.
– Plötzlich steht mitten im Feld
der Gedanke an meinen Tod.
Früher oder später
seh ich dies alles nicht mehr,
muss ich es loslassen,
abrupt oder allmählich,
jedenfalls unausweichlich.
Und ich spüre
Furcht vor Verlust
und tiefes Bedauern.
Ach Dummerchen! denkst du
im Himmel Heimweh zu haben
nach dieser Welt voller Wurmfraß?
Sie ist nur ein armer
schüchterner Vorgeschmack
ewiger Wiesen und Weiden
aus desselben Erfinders Hand.
*****
„Es wird gesät in Armseligkeit; es wird auferweckt in Herrlichkeit.“
Ein weißes Bett
mit Gittern rechts und links.
Ein dürres Häufchen
Haut und Knochen,
ein zahnloser Mund,
ein leerer Blick aus blauen Augen
an immer die selbe Decke.
Sie war die erste Tiefbauingenieurin Deutschlands:
Das ist sie jetzt.
Lange Tage à 24 Stunden,
dreimal täglich breiige Kost,
Windelwechsel, Lästig-Sein,
ab und an ein paar Minuten Besuch,
der Worte suchend am Bett steht,
wie wir jetzt.
– Sie hat uns erkannt:
sie freut sich.
Wir lesen einen Psalm,
wir beten,
sie strahlt und flüstert Dank.
Wir streicheln ihr die Hand
und gehn.
Sie liegt dort allein,
unter ihr ewige Arme.
Sie liegt und lernt und übt
Liegen und Warten,
Verwelken und Sterben,
kann nicht mehr mitteilen,
ob es ihr gelingt.
Am Ende bleibst DU –
oder nichts.
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Herbstbaum
Hergeben musst du, Baum, dein Bunt und Grün,
und das, was deine Zierde war, muss fallen.
Nackt und enthüllt stehst du am Schluss vor allen.
Das Wesen ist, was bleibt, wenn nichts mehr bleibt.
Die Kahlheit lässt Verborgenes verstehen,
den Adel und die Fehler schärfer sehen.
Getrost! Du wirst im Frühjahr wieder blühn,
wenn Gottes Leben Schönheit aus dir treibt.
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Wenn diese Müdigkeit mich überfällt,
und wenn ich spüre, wie die Kraft sich mindert,
dann fühl ich Zorn auf das, was mich verhindert,
das auszuführen, was mein Kopf gewählt.
Ich ahnte nicht, dass schon der Tod beginnt,
das Leben langsam aus mir auszuziehen.
Man kann zwar kämpfen, aber nicht entfliehen,
und fest steht, wer zum guten Schluss gewinnt.
Mir wird bewusst, dass es ein Ende nimmt
und lange vor dem Ende ein Beschränken.
Herr, hilf mir meiner Tage Zahl bedenken,
damit beim Abpfiff meine Rechnung stimmt.
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Der zweite Tod
Die Nein sagten und dabei blieben,
die schreiben es fest,
dass Krummes nie mehr gerade werden kann
und der Fehlbetrag nicht nachgezahlt.
Du bleibst ihnen ewig unbekannt,
und sich selbst finden sie nicht,
denn sie haben keinen Spiegel
und kein Licht.
Du redest ihnen nicht mehr hinein,
du gibst ihnen keinen Grund mehr
zu Poesie und Heiterkeit
und dem Lachen der Geliebten.
Und was sie einander antun,
bleibt ohne Anwalt,
keine Quelle der Versöhnung
sprudelt dem Streit.
Die Sehnsucht hat keinen Namen mehr.
Kein Schlückchen Wasser lindert
den Durst nach Sinn und Bedeutung,
und die Lüge tröstet nicht länger.
Ohne Tür
draußen.
Draußen.
Der zweite,
der ewige Tod.
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Ich werde grau.
Ich lasse
die Kinder ziehn,
gewöhne das Herz
an den Abschied,
füge mich
in die Müdigkeit,
sortiere die Träume:
schaufele Gräber den aussichtslosen,
stutze die übrigen
auf handlicheres Format
und weiß nur eins:
Ich brauch dich
mehr denn je.
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Eingesperrt
im Gewirr der Gefühle.
Fahler Schein nur
fällt durch trübsinnbeschlagene Fenster.
Ist’s irgendwo draußen heller,
dass ich mich dieses Wissens tröste,
oder ist das hier drin
der Spiegel der Wirklichkeit?
Licht ist bei dir –
und hier im dämmrigen Düster
Übungsfeld der Vertrauens
auf fest verbürgt
Versprochenes:
Eingesperrt,
um Hoffnung zu lernen.
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Herr, wie nötig hätt ich einen,
der aufräumt in meinem Leben,
vielleicht zuerst meine Fragen sortiert
nach wichtig und unwesentlich,
dann Gut und Böse auf zwei Häufchen wirft,
damit ich genau weiß, was wohin gehört
(bitte in Vergangenheit und Gegenwart),
der mir die ganze Psychologie aus dem Hirn putzt
und mir den gesunden Menschenverstand wiedergibt,
der das ganze Unkraut ausreißt,
das auf soviel verqueren Bibelauslegungen gewachsen ist,
und die Resignation über all die unbrauchbaren Tipps
und wieder Hoffnung pflanzt und Weisheit sät,
die hält, was sie verspricht.
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EINIGE PRAKTISCHE ÜBERLEGUNGEN ZUM UNVORSTELLBAREN
Dann hetzt mich nichts und keiner mehr.
Dann hab ich nie zu viel vor,
dann krieg ich immer alles hin:
Ewiges Leben.
Dann schlag ich keine Zeit mehr tot.
Dann weiß ich immer, wo anfangen.
Dann werd ich mit allem fertig:
Ewiges Leben.
Dann bedaure ich keine Versäumnisse.
Dann komme ich nie zu spät.
Dann verpasse ich nichts:
Ewiges Leben.
Dann hab ich nichts mehr vergessen,
dann ist nichts zu lange her.
Dann rauscht nichts an mir vorüber:
Ewiges Leben.