Das Wort “Bekehrung” war das Rätsel meiner Kinder- und Jugendjahre. Bekehrung, so hatte ich gehört, war notwendig, um in den Himmel zu kommen. Manche beschrieben sie als “180 Grad-Wendung”, andere als “zum Kreuz kommen”. Ich konnte mir nichts drunter vorstellen. Da das Kreuz für mich nicht sichtbar war, dachte ich, man müsste so eine Art Fantasiereise nach Golgatha machen, würde dort irgendwie geheimnisvoll ergriffen und verändert. In Büchern und Heftchen weinten die Leute immer sehr über ihre Sünden und begannen dann ein neues, gutes Leben. Meine Sünden (zumindest manche) taten mir auch Leid, aber mehr wegen der sozialen Folgen – und ja, auch wegen der Angst, in die Hölle zu kommen oder allein auf dieser Welt zurückzubleiben, falls Jesus wiederkam. Wenn man aber wissen wollte, “wie Bekehrung ging”, hieß es, man solle seine Sünden bekennen und um Vergebung bitten. Und dann müsse man einfach glauben, dass man jetzt bekehrt und in Sicherheit sei.
Ich versuchte es (aus Angst vor der Hölle). Es funktionierte nicht. Ich war nicht verändert. Ich war immer noch egoistisch und arrogant, lesesüchtig und ungehorsam und hatte so manches zu verheimlichen. Irgendwann beschloss ich, dass diese ganze Geschichte entweder nur was für bestimmte Auserwählte war, zu denen ich offensichtlich nicht gehörte, oder dass es diesen Gott gar nicht gab und ich irgendwie mein Leben selbst in die Hand nehmen musste. Und zu dem Zeitpunkt war dieser Wunsch sowieso übermächtig geworden, mein Leben nach meinen eigenen Wünschen und zu meiner eigenen Ehre zu gestalten, so dass ich mehr als willig war, mit dem Zeitgeist zu schwimmen, verstaubte Moralvorstellungen und Restriktionen über Bord zu werfen und mehr oder weniger mein eigener Gott zu werden.
Erst mal ging das aber nicht so einfach wegen der Strenge meiner Eltern, für die ich ihnen immer noch dankbar bin. Ich mag mir kaum ausmalen, was für unwiderrufliche Übel ich mir sonst selbst angetan hätte. In all dem war ich unglücklich und depressiv, weil das Leben keinen Sinn hatte.
Und dann geschah ein Wunder. Der Herr trat in mein Leben, offenbarte mir seine Liebe, zeigte mir, dass er schon weiß, dass ich mich nicht ändern kann und dass er es tun wird. Ein mächtiges Vertrauen durchflutete meine Seele, eine große Leichtigkeit, als diese Last, meine Erlösung selbst bewirken zu müssen, von meinen Schultern genommen war. Denn genauso hatte ich “Bekehrung” immer verstanden: Du musst was tun. Du musst was bekennen. Du musst was glauben. Du musst dein Leben ändern.
Und nun stand ich da und staunte. Ich war ein neuer Mensch. Ich wollte bekennen, aber nicht um für meine Sünden zu büßen, sondern um die Gnade Gottes zu rühmen, der so einen rebellischen Menschen liebt, und auch, weil ich keine “Störung” wollte in diesem neuen Liebesverhältnis. Ich wollte Änderung und vertraute mich begeistert diesem wunderbaren Pädagogen an, den ich in meinem himmlischen Vater gefunden hatte. Ich gab die Verantwortung für mein Leben in die Hände dessen ab, der den besten Plan hatte. Und auf einmal “funktionierte” es – nicht, dass ich plötzlich sündlos und fehlerfrei war, aber dass ich das überhaupt von Herzen wollte, und nicht aus Angst vor der Hölle, sondern aus Liebe. Ja, ich stand da und staunte und dachte: “Es ist passiert. Du bist bekehrt. Er hat es gemacht. Das geht nie mehr weg, und es ist wunderbar. Du bist zuhause angekommen.”
Seitdem beschäftigt mich die Frage immer wieder mal: Was ist Bekehrung eigentlich – im Kern? Denn die Bibel fordert Menschen auf: “Tut Buße und bekehrt euch.” Was ist damit gemeint? Ist es ein “Werk”, das man tun muss? Wieso kann man zu etwas aufgefordert werden, was man gar nicht kann und daran das ewige Schicksal geknüpft werden? Ich kann ja nicht nur von meiner Erfahrung ausgehen.
Vor einiger Zeit kam mir die Idee, mal zu studieren, wie die Bibel, besonders in den Apostelbriefen, Bekehrungen beschreibt. Auch kann man in den Evangelien und in der Apostelgeschichte “Fallstudien” machen. Damit will ich mich demnächst hier beschäftigen.