Jakobs Ankunft in Haran

Wie ganz anders komme ich in Haran an als Elieser, der Knecht meines Großvaters! Als er dort eine Braut für meinen Vater suchte, kam er in Begleitung und mit Kamelen, beladen mit Geschenken für die Familie und Schmuck für die Braut. Ich bin ein Flüchtling, komme zu Fuß und mit leeren Händen, angewiesen auf die Gnade einer Verwandtschaft, die ich noch nie gesehen habe.

Leute, die ich unterwegs treffe, bestätigen mir, dass ich es nicht mehr weit habe. Ich gelange an einen Brunnen auf freiem Feld, der mit einem großen Stein abgedeckt ist. 3 Hirten lungern dort herum und haben ihre Schafe gelagert, ungewöhnlich am hellen Tag. Wollen sie sie heute nicht mehr weiden? Ich grüße sie und frage, woher sie kommen. „Aus Haran.“  So bin ich nun fast am Ziel! „Kennt ihr einen Laban, den Sohn Nahors?“ „Natürlich kennen wir den!“  „Wisst ihr, wie es ihm geht?“ „Dem geht es gut!  – Aber schau, da kommt gerade seine Tochter Rahel mit den Schafen!“

Mein Herz startet einen wilden Galopp.  Ich sehe von weitem eine junge Hirtin von anmutiger Gestalt auf uns zusteuern und hinter ihr die Herde.

„Warum sammelt ihr jetzt am Tag schon die Herde?“, setze ich die Unterhaltung fort. „Tränkt doch eure Schafe und treibt sie noch einmal auf die Weide!“

„Wir sammeln hier immer erst alle Herden; dann wälzen wir gemeinsam den Stein von der Brunnenöffnung und tränken die Herden .“

Diese Leute sind merkwürdig. Ich schätze den Stein mit den Blicken ab und versuche gleichzeitig, Rahel im Auge zu behalten. Jetzt gilt es; ich muss mich hier als tüchtig und hilfsbereit zeigen. Hat nicht meine Mutter so auch damals die Herzen erobert? Ich nehme meine ganze Kraft zusammen und wälze den Stein vom Brunnen und tränke die Schafe Labans, meines Onkels.

Rahel schaut neugierig, was dieser Fremde da tut. Ich trete auf sie zu. „Ich bin Jakob, ein Neffe deines Vaters, ein Sohn seiner Schwester Rebekka.“ Ihr Gesicht zeigt Überraschung, Aufgeschlossenheit, Freundlichkeit. Es ist ein sehr angenehmer Anblick, dieses Gesicht! Ich grüße sie mit einem Kuss rechts und links auf die Wangen und fühle mich durchflutet von Wohlgefallen.

Sie sagt, von Tante Rebekka hat sie gehört; ihr Vater wird sich freuen . Und schon läuft sie davon und lässt die Herde in meiner Obhut. Kurz darauf kommt sie mit einem älteren Mann zurück, der sich als Laban vorstellt und mich aufs herzlichste willkommen heißt.

Diese ersten Tage in Haran sind von Fröhlichkeit erfüllt. Ich ruhe mich aus von den Strapazen der Reise, schaue mich um in Haus und Hof und in der Stadt und mache mich nützlich, wo ich kann. Laban züchtet Kleinvieh – damit kenne ich mich aus. Neu für mich ist das städtische Leben mit Schreibern und Schenken, Priestern und Barbieren, Händlern und Karawansereien. Stadttore mit Wächtern, Regeln, die es in meinem alten Leben so nicht gab. Neu ist auch das Leben unter einem Dach mit jungen Frauen, meiner attraktiven Cousine Rahel und der weniger hübschen Leah, deren Äußeres auf mich eher abstoßend wirkt. Rahel wäre die Frau meiner Träume. Doch wie sollte ich jemals den Brautpreis zahlen können? Mein Vater ist reich, aber weit weg.

Laban selbst schlägt nach 4 Wochen die Lösung vor: Ich soll gegen Lohn für ihn arbeiten. Wir einigen uns, dass ich 7 Jahre als Knecht bei ihm dienen werde, und mein Lohn wird „Rahel“ heißen.

Rahel! Kraft breitet sich in mir aus; ich habe ein Ziel vor mir: Frau und Kinder!  Jeden Tag sehe ich sie vor mir, macht ihr Lächeln mir Mut, nenne ich sie stolz bei mir selbst meine Braut.

Ach, hätte ich die Zukunft gekannt und was hinter der freundlichen Fassade meines Onkels in seinem Kopf herumspukte …

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