Aus dem Tagebuch von Petrus (3)

Eine Nacherzählung

Teil 1 und Teil 2

4. Eintrag

Heute ist Donnerstag. Wir haben Passah gefeiert, nur wir zwölf aus dem engsten Kreis und Jesus. Beim Essen fängt Jesus auf einmal an zu sagen: „Einer von euch wird mich ausliefern.“ Uns sank allen das Herz in die Hose. Einer von uns? Jeder von uns fragte: „Ich doch nicht? Wer könnte so etwas tun?“ Aber Jesus sagte nur: „Einer von euch Zwölfen, die hier mit mir essen. Zwar muss das alles mit mir passieren, was passieren wird, aber wehe demjenigen, der das tut. Besser wäre er nie geboren.“

Beim Essen sagte er dann: „Jetzt wird sich das erfüllen, was in der Heiligen Schrift vorhergesagt wurde: Der Hirte wird geschlagen, und die Schafe werden sich zerstreuen. Heute Nacht werdet ihr alle nicht zu mir halten. Aber wenn ich wieder auferweckt worden bin, werde ich euch in Galiläa treffen.“ Und dann wandte er sich zu mir und sagte: „Der Teufel wird euch alle durchschütteln wie das Korn auf der Tenne. Aber ich habe schon für dich gebetet, dass dein Glaube nicht aufhört. Und wenn du wieder zu mir zurückkommst, dann sollst du deine Brüder stärken.“ Also wirklich! dachte ich. Was denkt er denn von mir? Bin ich ihm nicht ein treuer Freund gewesen? Hab ich nicht alles für ihn aufgegeben? Bin ich etwa ein Deserteur, der abhaut, wenn´s brenzlig wird? Ich würde ihn verteidigen bis aufs Blut! „Wenn keiner mehr zu dir hält“, sagte ich ihm, „auf mich kannst du dich verlassen. Ich bin bereit ins Gefängnis zu gehen oder zu sterben, aber dich verlassen – das kommt nicht infrage!“ Die anderen sagten auch Ähnliches, aber mich schaute Jesus ruhig an und sagte: „Ehe der Hahn zweimal gekräht hat, wirst du mich dreimal verleugnen.“

Rede du nur, dachte ich, ich werd´s dir beweisen.

Dann sagte Jesus, er wolle beten und nahm uns mit nach Gethsemane, das ist so ein Garten, wo wir öfters sind und manchmal sogar übernachten. Die anderen sollten sich hinsetzen, und Jakobus und Johannes und ich sollten mit ihm kommen. „Wartet hier auf mich, wenn ich bete. Passt auf!“, sagte er. Er war extrem ängstlich und beunruhigt und ging ein wenig weiter und warf sich auf die Erde, um zu beten. Und dann sind wir drei einfach eingeschlafen. All diese düsteren Reden, die Verwirrung, seine Angst – wir waren von all dem so fertig, wir konnten einfach nicht mehr. Nach so etwa einer Stunde hat er mich dann geweckt; das war mir ganz schön peinlich. „Schläfst du?“, fragte er. „Hast du es keine Stunde ausgehalten, mit mir zu wachen? Ihr solltet lieber wachen und beten, denn der Geist ist willig, aber das Fleisch ist schwach.“ Und dann ging er wieder beten, und wir schliefen wieder ein, und so ging das dreimal. Schließlich sagte er: „Dann schlaft mal weiter! Kommt, wir müssen gehen. Es ist soweit – ich werde jetzt ausgeliefert.“

Und dann kam Judas mit den Schergen des Hohepriesters, alle bewaffnet bis an die Zähne, und Judas – also ER war es! – kam auf ihn zu und küsste ihn. In dem Moment haben wir verstanden, was die Stunde geschlagen hatte, und ich dachte: „Jetzt gilt´s!“ und nahm das Schwert, mit dem ich mich vorsichtshalber bewaffnet hatte, und schlug dem einen das Ohr ab. „Es reicht“, sagte Jesus da, und berührte sein Ohr und heilte es! Da wusste ich nicht mehr, was ich da noch sollte. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er gar nicht wollte, dass wir ihn verteidigen. Einfach nur zugucken, wie er verhaftet wird? Kein Widerstand? Uns einfach mitverhaften lassen wie die Lämmer, die man zum Schlachten führt? Wir nahmen alle die Beine in die Hand und suchten das Weite.

Und ließen ihn allein.

Ich glaube, ich war noch nie in meinem Leben so verwirrt. Ich musste mich orientieren, wissen, wie das weitergeht. Das Herz blutete mir. Er ist nicht nur mein Messias, er ist ja auch mein Freund. Ich hänge an ihm. Ich habe Johannes gefragt; der hat irgendwie Vitamin B, und so durfte ich in den Hof des Hohenpriesters, denn ich wollte beobachten, was jetzt passiert. Ich fror wie verrückt. Es war kalt, aber ich fror auch von innen heraus, und ich wollte nicht allein sein, aber auch nicht auffallen, und so setzte ich mich zu den Dienern ans Feuer. Wir alle beobachteten gebannt, was sich da abspielte. Er stand da, und sie schleppten lauter Zeugen gegen ihn an, die sie wahrscheinlich gekauft hatten, aber sie hatten sie nicht gut vorbereitet, und so widersprachen sie sich gegenseitig. Jesus sagte gar nichts dazu. Schließlich fragte ihn der Hohepriester: „Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?“ Und Jesus antwortete: „Der bin ich! und ihr werdet den Menschensohn an der rechten Seite des Allmächtigen sitzen und auf den Wolken des Himmels kommen sehen.“ Jetzt! dachte ich, jetzt muss doch der Himmel seine Engel schicken und ihn da rausholen! Aber nichts dergleichen geschah, sondern alle schrien: „Man muss ihn töten!“ und begannen ihn anzuspucken und mit den Fäusten ins Gesicht zu schlagen.

Ich war völlig zerstört. Wer war dieser Mann? Hatte ich mich getäuscht? Hatte ich ihn nicht leuchten gesehen auf jenem Berg? Hatte ich nicht Gottes Stimme gehört? Wo war Gott jetzt?

Da kam eine von den Frauen, die für den Hohepriester arbeiteten, und sah mich scharf an. „Du gehörst doch auch zu dem Nazarener Jesus!“ Ich konnte nur mit Mühe mein Zittern beherrschen. „Nein, sagte ich, „ich doch nicht. Ich habe keine Ahnung von was du redest.“ Ich ging vorsichtshalber in den Vorhof. Aber dort war ein anderes Mädchen – hatten die sich abgesprochen? –, und sie sagte zu denen, die da herumstanden: „Der gehört auch zu diesem Jesus!“ „Nein, verdammt!“, erwiderte ich, „ich kenne den noch nicht einmal!“ dusan-smetana-Fxg394rc6JQ-unsplashDa fingen die anderen auch an: „Klar gehörst du dazu! Dein Akzent verrät dich!“ „Verflucht noch mal, nein! Ich schwör´s!“ Da krähte der Hahn zum zweiten Mal. Und Jesus drehte sich um und schaute mich an. Mit einem Blick voller Schmerz und voller Liebe, mit einem „Ich habe für dich gebetet“-Blick. Ich verließ den Hof und weinte und weinte und weinte. Ich hatte versagt. Ich hatte ihn verletzt. Ich war so ein selbstsicheres Großmaul gewesen, aber er kannte mich. Er hatte mir schon im Voraus vergeben. So viel Liebe!

Und jetzt würden sie ihn umbringen, und ich war allein, so allein wie noch nie. Der Hirte war geschlagen und die Schafe zerstreut, wie er gesagt hatte.

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